Die Bevölkerung des asiatischen Armenhauses vertraut darauf, dass der Friedensprozess auch ihre ökonomische Situation verbessert.
Rabindra Puri hat gut lachen. Unlängst ist er Vater geworden, und die Geschäfte gehen ausgezeichnet, seit er vor zweieinhalb Jahren den „Asia Pacific Cultural Heritage Preservation Award“ der UNESCO für sein Namuna Ghar, das „Geisterhaus“, bekam. Mitten in der Weltkulturerbe-Stadt Bhaktapur hatte er als gerade Dreißigjähriger ein verfallenes Newari-Bauernhaus, das noch als Hühnerstall genutzt worden war, gekauft und restauriert: „Ich wollte zeigen, dass man diese mittelalterlich-kleinräumige Architektur als modernen Lebensraum adaptieren kann.“
Sein Modellhaus ist inzwischen Vorbild für eine Reihe weiterer Restaurierungsprojekte im ganzen Kathmandu-Tal, bei denen es um die Erhaltung wertvoller alter Bausubstanz durch kommerzielle Nutzung geht – etwa als Wohnraum oder Büro. Dabei wird nicht nur der Stil bewahrt. Puri benutzt fast ausnahmslos traditionelle Materialien – auch bei den Möbeln. Neben Bauarbeitern hat der Jungunternehmer so auch Dutzende von Zulieferfamilien beschäftigt, etwa von Reisstrohmatten für die Innenausstattung. Studiert hat er Jus, Kunst und Entwicklungspolitik. Inspiration und handwerkliches Können holte er sich als Mitarbeiter des in Nepal lebenden österreichischen Architekten Goetz Hagmüller bei der Gestaltung des inzwischen berühmten Patan-Museums, eines mit Unterstützung der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit revitalisierten alten Palastes. Seine Projekte sind meist schon verkauft, bevor die Arbeiten überhaupt beginnen.
Der innovative Nepalese steht exemplarisch für Tatkraft und Optimismus inmitten von Chaos und Bürgerkrieg. Schauplatz eines anderen Booms ist die Everest Region. Seit ausländische Tourismusunternehmen dort hotelartige Häuser hochgezogen haben, ist ein Bauboom ausgebrochen. Auch die Sherpas meinen nun, mitten im Himalaya Zimmer mit Bad und Bettwäsche anbieten zu müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Nicht wenige verschuldeten sich – und das bei damals wegen des Bürgerkriegs noch sinkenden Besucherzahlen. Auch dies ein Zeichen für die Zuversicht der Menschen – die Folgen dieser Entwicklung für die fragile Hochgebirgsökologie sind allerdings absehbar verheerend. Für die meisten Menschen jedoch ist die Wirklichkeit eher brutal: Mit einem durchschnittlichen jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von 292 US-Dollar gehört Nepal zu den ärmsten Ländern der Welt. Auf die ärmsten 10% der Bevölkerung entfallen nur 2,6% des Nationaleinkommens, auf die reichsten 10% hingegen 40,6%. Zur sozialen Kluft kommen Kastenschranken und ethnische Diskriminierung. Gut 50% der Erwachsenen sind AnalphabetInnen. Rund drei Viertel der Erwerbstätigkeit und 40% des Bruttoinlandsprodukts entfallen auf die Landwirtschaft, deren Gewicht noch größer ist, als es diese Zahlen vermuten lassen. Ein wichtiger Teil entfällt auf Subsistenz und kleinen Tauschhandel, die nicht statistisch erfasst werden. Vielfach sind im Gebirge die Wege zu den Märkten zu weit und zu beschwerlich. Nicht selten arbeiten Männer einen Teil des Jahres als Lastenträger, heute vielfach im Tourismus, während die Frauen Haus und Hof weiter versorgen.
Kornkammer des Landes ist das im südlichen Grenzgebiet zu Indien gelegene Tiefland des Terai, dessen Geographie und tropisches Klima auch großflächigere Landwirtschaft erlauben: überwiegend Reis, aber auch Jute, Zuckerrohr, Weizen, Früchte und Tabak. Wasserbüffel dienen als Arbeitstiere und Fleischlieferanten. Im Hochgebirge wachsen Kartoffeln, Buchweizen und Gerste bis in Höhen von 4.000 Meter, als Packtiere dienen Jaks.
Das von den Großmächten Indien und China eingeschlossene kleine Land im Himalaya ist mit seiner ungünstigen Wirtschaftsgeographie in hohem Maße auf Importe angewiesen. Praktisch alle industriellen Produkte müssen eingeführt werden. Rund 50% des Außenhandels werden mit Indien abgewickelt, nur gut 10% mit China. Die Abhängigkeit vom mächtigen Nachbarn im Süden gibt immer wieder zu Ressentiments und allerlei Verschwörungstheorien Anlass.
Das größte Entwicklungspotenzial des Landes liegt in der bisher weitgehend ungenutzten Wasserkraft und im Tourismus, der schon heute der wichtigste Devisenbringer ist. Das chronische Handelsbilanzdefizit wird durch Überschüsse im Tourismus sowie Überweisungen von ArbeitsmigrantInnen, vor allem aus den Golfstaaten, ins Positive gewendet. Trotz hochfliegender Pläne und ausländischer Entwicklungshilfe: Nepal importiert zweieinhalb Mal mehr Energie als es exportiert.
Konsumiert Nepal die Hilfe, oder konsumiert die Hilfe Nepal? Nepal ist ein sogenanntes Aid Regime: Ausländische Entwicklungshilfe entspricht 7,5% des Bruttoinlandsprodukts und deckt praktisch die gesamten öffentlichen Ausgaben. Eine üppige Bürokratie labt sich an „Verwaltungskosten“. Korruption gilt als eines der größten Entwicklungshindernisse. Nepal belegt Platz 121 von 163 auf dem Korruptionsindex von Transparency International.
Doch es geht auch anders, ohne dazwischen geschaltete Bürokratie: „Unsere Arbeit ist durch den Friedensvertrag leichter geworden, die Menschen sind viel motivierter“, sagt Kurt Luger. Er ist Vorsitzender der österreichisch-nepalesischen Nichtregierungsorganisation Öko-Himal, die in Nepal und Tibet Projekte im Bereich nachhaltiger Tourismus und integrierte regionalwirtschaftliche Entwicklung durchführt. „Bürgerkriegsflüchtlinge kehren in ihre Dörfer zurück, darunter auch Menschen, die eigens für die Projektarbeit ausgebildet wurden. Wir können am besten zum Friedensprozess beitragen, wenn wir an konkreten Projekten in den Dörfern arbeiten, Einkommen schaffen, Armut bekämpfen“, meint Luger.